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Wohnpsychologie für die Planungspraxis

oder zur „Messbarkeit“ von Menschlichkeit – Teil 1

Entgegen einer weit verbreiteten Meinung kann der vielfach noch rätselhaft erscheinende Faktor „Menschlichkeit“ bei Gebäuden durchwegs gut analysiert und bewertet werden. Er ist zwar nicht im strengen physikalischem Sinne messbar, aber die Wohnpsychologie (wie wir von IWAP sie definieren) bietet eine Vielzahl an Parametern, die nach wissenschaftlichen Kriterien bestimmbar und feststellbar sind.

Wenn in der Wohnpsychologie von „Menschlichkeit“ die Rede ist, so sind damit prinzipiell „humane und soziale Qualitäten“ gemeint. Wenn man – aufgrund der Erkenntnisse der Wohnpsychologie – präzise definieren kann, worauf es aus humanwissenschaftlicher Sicht ankommt, dann weiß man auch, welche baulichen, gestalterischen Maßnahmen hinsichtlich Wohnqualität wieviel bringen. Und man weiß dann auch, welche man sich sprichwörtlich ersparen sollte, weil sie nachteilige Konsequenzen nach sich ziehen würden. (Siehe auch Lehrgang Wohnpsychologie & Architekturpsychologie)

Was Wohnbauten bewirken – ein kleiner Einblick

Zum Einstieg ins Thema, sollten wir uns kurz vor Augen halten, was viele gängige Wohnbauformen bei Mensch und Gesellschaft bewirken können, wenn sie aus Sicht der Wohnpsychologie „suboptimale“ Eigenschaften aufweisen.

Neue „Volkskrankheiten“?

Dass beispielsweise Burn-Out und Depressionen gleichsam zu neuen Volkskrankheiten geworden sind und im Gegenzug die Resilienz vieler Menschen zu sinken scheint, hat nicht bloß mit einer eventuellen Zunahme beruflicher und/oder privater Belastungen zu tun, sondern unter anderem auch damit, dass die meisten gängigen Wohnbauformen geringe Erholungsqualitäten aufweisen.
Sie sind vielfach kaum dazu geeignet, die eigenen „inneren Batterien“ wieder aufzuladen. Nicht selten generieren sie stattdessen sogar zusätzliche psychische Belastungen unterschiedlichster Art. Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass nicht wenige Faktoren des Lebensumfeldes für die Entstehung von Depressionen oder depressiven Verstimmungen (die wir alle kennen) zumindest mitverantwortlich sein können.
(Hinweise gibt es aus der Wohnpsychologie auch noch für einige weitere Störungsbilder und Beeinträchtigungen, aber die bedürfen einer eigenen inhaltlichen Zuwendung – ev. in einem der nächsten Blogs zum Thema Wohnpsychologie.)

Das „geplante“ Paradoxon der Gleichzeitigkeit von sozialer Isolation und Crowding

Bei vielen – vor allem städtischen – Wohnbauformen sind Menschen paradoxerweise zugleich einem Übermaß an sozialen Kontakten ausgesetzt (Crowding) als auch einem Mangel. Sie können im Wohnumfeld kaum Kontakte knüpfen, Ältere laufen Gefahr zu vereinsamen, Jüngere finden keine Spielkameraden, Alleinerziehende keine Unterstützung etc. und von einem funktionierenden Nachbarschaftsgefüge, in welchem Nachbarn nicht als Belastung sondern als Bereicherung empfunden werden, ist man meist weit entfernt.
Dafür sind ausschließlich sozial- bzw. wohnpsychologische Fehlkonzepte verantwortlich zu machen.

Raumstrukturen erzeugen Verhaltensweisen

– nicht selten andere als erhofft, weil die Wirkfaktoren für unser Verhalten meist deutlich vielschichtiger sind als gemeinhin bekannt.

Nahezu alltäglich trifft man auf unterschiedliche Formen von sogenanntem Reaktanzverhalten – indem sich beispielsweise Leute abschotten, bisweilen nahezu verbarrikadieren, Kontakt eher vermeiden, sich (auch innerlich) zurückziehen, gefolgt von Desinteresse und einer reduzierten Hemmschwelle für Beschwerden aller Art etc.
Dies darf allerdings NICHT als vermeintlich fixer Bestandteil der Mentalität hingenommen werden, sind doch die eigentlichen Ursachen häufig in fehlgeleiteten räumlichen Konzepten zu finden, die solche Verhaltensmuster nahezu erzeugen.

Analoges gilt für Beziehungskonflikte und innerfamiliäre Schwierigkeiten. Nicht wenige davon lassen sich ebenfalls auf psychologisch ungünstige Raumkonstellationen oder Wohnsituationen zurückführen, in denen selbst die liebsten Mitbewohner/innen bzw. die sympathischsten Nachbarn über kurz oder lang als Störfaktoren wahrgenommen werden.

Räumliche Wirkungszusammenhänge lassen sich mittlerweile noch bei vielen weiteren Phänomenen herstellen wie z.B. zur Häufigkeit von Beschwerden oder gereizten Verhaltensweisen; zum Thema Sicherheit und Sicherheitsempfinden, zur Einbruchs- und Vandalismus­wahrscheinlichkeit und zu vielem mehr …

Vielfach unbewusste Wirkungszusammenhänge

Zahlreiche Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass die genannten Aspekte lediglich die berühmte Spitze des Eisberges abbilden und die Wechselwirkungen zwischen gebautem Lebensraum und menschlichem Leben deutlich tiefgründiger sind als wir es in unserer Alltagserfahrung direkt wahrnehmen können.
Die Zusammenhänge sind allerdings – bei entsprechender Fachkenntnis – analysierbar und damit vorhersehbar, beeinflussbar sowie vor allem verbesserungsfähig.

Warum sehen wir die Zusammenhänge selten direkt und unmittelbar?

Ein Hauptfaktor, warum wir erst nach und nach den Zusammenhängen und Konsequenzen auf die Spur kommen, liegt in der Tatsache verborgen, dass viele Einflüsse und Prozesse sehr subtil auf unbewusster Ebene von statten gehen. Häufig entfalten sie vergleichsweise unauffällig aber stetig über längere Zeiträume hinweg ihre Wirkung auf Menschen. Die Wirkungszusammenhänge entziehen sich demnach vielfach unserer direkten Wahrnehmung.
Die gute Nachricht lautet allerdings: Die wichtigsten Faktoren sind mittlerweile wissenschaftlich fassbar, bewertbar und damit auch gezielt verbesserbar. Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass man nicht mehr nur auf eine gute Intuition hoffen muss oder auf ein ungewisses Bauchgefühl angewiesen ist, um die menschlichen Aspekte einschätzen zu können. Vielmehr gibt es bereits eine breite wissenschaftliche Basis, auf die man – im wahrsten Sinne des Wortes – bauen kann.

Wie erfasst man nun die menschliche Qualität von Gebäuden?

Wenn es um die Wirkung auf den Menschen, sein Befinden und Verhalten geht, dann stehen hier die Wohnpsychologie im Zentrum. Sie versteht sich als interdisziplinäre Wissenschaft, die unzählige Erkenntnisse aus unterschiedlichen Fachgebieten zu einem großen Ganzen zusammenfügt. Nach vielen Jahren Forschungsarbeit halten wir ein nahezu vollständiges Bild von den komplexen Wechselwirkungen zwischen Mensch und gebautem Lebensraum in Händen.
Dann fehlt aber noch Entscheidendes: wenn man die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt erkennen kann, weiß man damit noch nicht unbedingt, welche Einflüsse Positives oder Negatives bewirken und was Menschen eigentlich brauchen um sich bestmöglich entwickeln und entfalten zu können.
Sprich, es müssen die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse im Wohnbaukontext möglichst vollständig ermittelt werden.

Mehr dazu erfahren Sie in Teil 2 zur Messbarkeit von Menschlichkeit mit dem Untertitel:
Was sind Wohnbedürfnisse? Oder welche Funktion hat ein Balkon?

… und bei Bedarf noch etwas mehr im Lehrgang zum Thema Wohn- und Architekturpsychologie